Die Geschichte der Dorfkirche

Pfarrer in Ruhe Detlef Harth hat während seiner Dienstjahre in der Gemeinde Heiligenkirchen einen Rundgang durch die Kirche beschrieben, dem Sie bei einem Besuch gerne folgen können:

Herzlich willkommen liebe Kirchenbesucherin,
lieber Kirchenbesucher!

Wir wünschen Ihnen einige Minuten der Ruhe und Besinnung in unserer Kirche. Vielleicht mögen Sie einfach nur in die Stille hinein hören, ein Gebet sprechen oder in der Bibel lesen.

Unsere evangelisch-reformierte Kirche Heiligenkirchen hat bemerkenswerte Besonderheiten und hat eine weit in die Vergangenheit zurückreichende Entstehungsgeschichte.

Werfen Sie eine Blick auf unsere Orgel. Als man die alte Orgel 1969 abbaute – sie hatte ihre Zinnpfeifen schon im ersten Weltkrieg opfern müssen und war dann nach einer Restauration im Jahr 1919 nicht mehr vollwertig – stieß man auf der Suche nach einer neuen Orgel auf ein Barockgehäuse aus dem Jahr 1700, das Heinrich Klausing aus Herford damals für die Kirche zu Bösingfeld gebaut hatte. Die Firma Walcker fertigte mit Hilfe der noch erhaltenen Prospektteile ein schönes Instrument mit zwei Manualen und 15 Registern an.

Zwei Grabtafeln, von denen eine rechts im Chorraum und die andere an der Nordwand der Kirche angebracht ist, sind Reste eines Grabgewölbes der Familie von Hammerstein, die von 1614 – 1805 im Besitz des Ritterguts Hornoldendorf war. Früher wurden alle Toten rings um die Kirche bestattet. Davon zeugen eine Reihe noch erhaltener Grabsteine im Kirchhof. Bis heute finden Trauergottesdienste für verstorbene Gemeindeglieder in der Kirche statt. 

Achten Sie auf die Gestaltung der Schlusssteine im Gewölbe. Der Christuskopf in der Nähe des Turms erinnert an das Bibelwort von Jesus Christus als dem von Gott erwählten Eckstein seiner Gemeinde (1. Petrus 2, 6 und 7).  

Kanzel, Abendmahlstisch (Altar) und Taufstein wurden 1969 von dem Hiddeser Bildhauer Prof. Karl Ehlers geschaffen.

Beim Rundgang durch den Kirchenraum fällt insbesondere ein Fresko in einer Nische neben der Kanzel auf. Diese spätgotische Malerei zeigt das Kreuz Christi und die Marterwerkzeuge („arma Christi“).

Als Graf Simon VI. ab 1605 in Lippe mit dem Heidelberger Katechismus die reformierte Lehre einführte, übertünchte man wegen des 2. Gebots (Bilderverbot) die Wandgemälde und Gewölbemalereien der Kirche und mauerte auch die Nische zu. Bei der Renovierung 1969 wurde die Nische wieder freigelegt und die Malerei restauriert.

Im Zusammenhang der Renovierung der Kirche stieß man bei Ausgrabungen auf Fundamente eines einschiffigen, gewölbten, romanischen Langhauses, wie es in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts gebaut wurde. Nach Abtragen des romanischen Fußbodens kamen die Reste einer noch älteren, vorromanischen Kirche zutage. Am besten erhalten war die Chorapsis. Ein Datum für die Errichtung der ersten Kirche ist nicht mit Sicherheit anzugeben. Mit Vorbehalt ist eine Datierung in das 9. Jahrhundert (Lobbedey), vielleicht sogar in das späte 8. Jahrhundert möglich. Der älteste Teil des jetzigen Kirchengebäudes ist der spätromanische Turm aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Das Kirchenschiff wurde nach einem Brand zu  Anfang des 15. Jahrhunderts zerstört und danach gotisch wieder aufgebaut.

Als Schutzheilige bekam die Kirche zwei Ärzte des Altertums, Cosmas und Damian, die in der diokletianischen Christenverfolgung (303 – 305) den Märtyrertod erlitten haben.

Jahrhundertelang diente die Kirche, vor allem der Kirchturm, für die um sie herum wohnenden Bauern als Fluchtort bei Gefahr.  Ein Erdbeben im Jahr 1767 erschütterte Turm und Kirche sehr. Von der anschließenden Reparatur zeugen noch die Eisenklammern am Turm.

Im Ausbau des Turmdaches hing ursprünglich die Feuerglocke. Sie wurde im 1. Weltkrieg eingeschmolzen. Im Jahr 1965 ließ die Kirchengemeinde zu einer noch aus dem 15. Jahrhundert übriggebliebenen Glocke drei neue gießen. Die Tonfolge der Glocken e – g – a – h ist der Anfang des Adventsliedes “O Heiland, reiß die Himmel auf”.
Der untere Teil des Turmes wurde als Mahnmal für die in den beiden Weltkriegen Gefallenen gestaltet.

Die Entstehungsgeschichte unserer Kirche ist außerordentlich spannend. Wann genau die Kirche in Heiligenkirchen gegründet wurde, wer sie erbaut hat und wo sie stand, darüber gibt es in der Forschung allerdings unterschiedliche Auffassungen.

Nach den neusten Forschungen des Historikers Robert Linde geht unsere Kirche nicht auf Karl den Großen zurück, wie es bisher angenommen wurde. Nikolaus von Schaten (Paderborner Kirchengeschichte um 1700) war davon ausgegangen und andere waren ihm darin gefolgt. Der Geograph Prof. Dr. Adolf Schüttler hatte noch 2001 diese Auffassung vertreten (GeKo Aktuell I/2001, Geographische Kommission für Westfalen, LWL Münster, S. 2 – 6).

Ausgangspunkt für den Zweifel an einer Gründung durch Karl den Großen sind die beiden Schutzheiligen unserer Kirche Cosmas und Damian. Diese beiden treten als Schutzheilige in unserer Region nur noch im Kanonissenstift Liesborn in der Nähe von Beckum auf. Robert Linde hat in seinem Aufsatz „Ortsnamen und Grundherrschaft im Frühmittelalter“ (in: Total regional, Studien zur frühzeitlichen Sozial - und Wirtschaftsgeschichte, hg. M. Menne u. M. Strömer, Regensburg 2011 )auf diese Verbindung hingewiesen. Dabei geht er davon aus, dass das Stift Liesborn um 850 von einem Graf Bardo gestiftet worden ist. Er schreibt weiter auf S. 51: „Nun liegt der Personenname Bardo auch dem Ortsnamen Bardingthorpe (Gut Meier zu Beerentrup, Schönemark), „Dorf der Leute des Bardo“ zugrunde.

Diese Verbindung zwischen dem signifikanten Namen Bardo und dem seltenen Cosmas-und-Damian-Patrozinium sowohl in Liesborn als auch im Höfeverband Heiligenkirchen ist eine auffällige Parallele und lässt die Vermutung zu, dass die Villikation (von einem Verwalter geleiteter Herrenhof) aus dem Besitz der Familie Bardos an den Bischof von Paderborn gelangt ist.“

Demnach könnte die Erbauung unserer Kirche und die Entstehung unseres Ortes so rekonstruiert werden, dass in der Mitte des 9. Jahrhunderts auf dem Gelände eines Herrenhofes eine grundherrliche Eigenkirche erbaut wurde. So schreibt Linde auf S. 41 seines Aufsatzes: „In nicht wenigen Fällen waren Herrenhöfe Ausgangspunkt der Entstehung von Kirchdörfern und Städten. … So ist noch in der Urkatasterkarte von 1880 ablesbar, dass das Dorf Heiligenkirchen mit der bereits in der „Vita Meinwerci“ erwähnten Kirche auf dem Gelände des Hofs Watermeier, … , entstanden ist“. Somit könnte unsere Kirche auf Graf Bardo zurückgehen und von ihm gegründet sein.

Die zweite Frage, die im Raum steht, ist, ob unsere Kirche wirklich der erste Kirchbau zwischen der Grotenburg und dem Königsberg gewesen ist, wie es z. B. von Adolf Schüttler und anderen vor ihm angenommen wurde. Linde weist uns einen anderen Weg. In der Broschüre: „Evangelische Kirche Heiligenkirchen, Lippische Kulturlandschaften, Heft 30, 1. Auflage 2015“ bezieht er sich auf die Vita Meinwerci (S. 23), die  von der bemerkenswerten Begebenheit berichtet, dass Bischof Meinwerk im Jahr 1023 eine Altarstein aus der Kirche in „Thietmelle“ in die Krypta  der Klosterkirche am Abdinghof überführen ließ. Ein ganz besonderer Altarstein sei es gewesen, denn Papst Leo III. habe ihn einst geweiht.

In Theotmalli hatte Karl 783 eine Schlacht gegen die Sachsen gewonnen. „Dieser Ort verband sich für ihn mit der Eroberung und Christianisierung Sachsens. Wir wissen nichts Genaues über diese Schlacht und ihren Verlauf, aber offenkundig hatte sich Karl verpflichtet gefühlt, an diesem Ort eine Kirche zu errichten und sie durch niemand geringeren als das geistliche Oberhaupt der westlichen Kirche weihen zu lassen.“ Einige Forscher gehen davon aus, dass der Altar ursprünglich in der Kirche in Heiligenkirchen gestanden hat. Doch es gibt nach Linde zwei wichtige Gründe, die dagegen sprechen.

„Zum einen kennt die Vita Meinwerci sowohl die Kirche in „Thietmelle“ als auch den Ortsnamen Heiligenkirchen, der die Existenz einer Kirche voraussetzt. Sollte damit wirklich ein und dieselbe Kirche gemeint sein? Der Zweifel an einer solchen Gleichsetzung wird noch durch eine weitere Überlegung verstärkt. Denn was bedeutete es für das weitere Schicksal einer Kirche, wenn man den Altar – und zwar zweifellos den Hauptaltar – aus ihr entfernte? … Nach mittelalterlichem Verständnis kam seine Entfernung dem Ende des Kirchenstandortes gleich. Da Theotmalli der Name einer Landschaft war – und nicht für eine Versammlungsort steht – gibt es für die Lokalisierung der verschwundenen Kirche einigen Spielraum (S. 26).“   Dabei kommt durchaus der Königsberg als Standort der ersten Kirche in Betracht.

„Zumindest einen Hinweis gibt der Kreuzstein, der sich heute an der Ecke des Heiligenkircheners Dorfparks befindet, der aber ursprünglich auf dem Königsberg am alten Postweg stand. Es gab im Mittelalter unterschiedliche Anlässe, die zur Errichtung eines solchen Steinkreuzes oder Kreuzsteines führen konnten. Einer davon war die Erinnerung an eine aufgegebenen Kirchenstandort ( S. 27).“

Nach diesen Überlegungen hatte unsere Kirche also eine Vorgängerbau auf dem Königsberg, wie es übrigens auch schon Nikolaus von Schaten angenommen hatte. Vielleicht wird irgendwann ein glücklicher Zufall zum archälogischen Nachweis  der Theotmalli – Kirche führen.

Festhalten können wir jedoch, dass unsere Kirche die Keimzelle unseres Ortes ist und diesem den Namen gegeben hat.

Über Jahrhunderte hinweg haben Menschen in ihr Orientierung, Halt und Zuflucht gefunden. Sie haben sie als Schutzraum in äußeren und inneren Notlagen erfahren, aber auch als Ort, an dem ihnen Wegweisung aus dem Evangelium Jesu Christi gegeben wurde. Möge sie auch weiterhin ein Ort sein, an dem Menschen Trost und Hilfe finden, eine Wahrheit, die frei macht und aufrichtet, eine Gemeinschaft, in der sie singen und beten können, Worte die Mut machen: Mut zu leben, zu glauben, zu lieben, zu hoffen – auch über den Tod hinaus.

Detlef Harth, Pfarrer