Vom Trösten und Vertrösten
Jesus sagt: Ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.
Johannes 16, 22
Es ist ein feiner Unterschied zwischen dem Trösten und Vertrösten.
Wer tröstet, gibt zu verstehen:
Ich nehme dich in deinem Schmerz wahr – jetzt.
Ich bin bereit, auf dich zuzugehen – jetzt.
Ich will versuchen, ganz für dich da zu sein – jetzt.
Schmerz und Leid, Trauer und Zweifel werden als Geburtswehen neuen Lebens anerkannt und zugelassen.
Wer vertröstet, beschwichtigt den Schmerz und redet den Verlust klein. Er weicht dem Trauernden aus. „Du musst jetzt nach vorne schauen.“ „Tränen helfen da auch nicht weiter.“ Scheinbar ist man bemüht, dem Betroffenen seine Bürde zu erleichtern. Aber man erschwert ihm in Wahrheit unnötig seine Last.
Jesus stellt sich der Aufgabe, seine Jünger zu trösten. Noch einmal hat er sie um sich geschart. Es ist der letzte gemeinsame Abend. In der Nacht noch wird Jesus verraten und verhaftet werden und allein vor seinen Richtern stehen. Eigentlich ist er derjenige, der Trost braucht, oder? Aber Jesus wendet sich an die Jünger. Sie werden mit seinem Tod umgehen müssen. Werden sie dem gewachsen sein, was geschieht?
„Ihr habt nun Traurigkeit“, sagt Jesus. Er weicht den Gefühlen, die im Raum sind, nicht aus. Er fasst sie vielmehr in Worte. Ja, die Jünger sind traurig. Sie verlieren Jesus. Ein hoffnungsvoller Lebensabschnitt geht zu Ende. Die Freude, nach Jerusalem zu kommen, die Freude, begeistert empfangen zu werden – wie verflogen. Schwer lastet die Ungewissheit auf den Männern. Ihre Zukunft – wie wird die aussehen?
Wer tröstet, gibt zu verstehen:
Ich nehme dich in deinem Schmerz wahr – jetzt.
Ich bin bereit, auf dich zuzugehen – jetzt.
Ich will versuchen, ganz für dich da zu sein – jetzt.
Jesus tröstet die Jünger.
Und fährt fort: „Aber ich will euch wieder sehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.“
Vertröstet er sie nun doch?
Ja, das gibt es, dass Menschen auf bessere Zeiten vertröstet werden, und sei es auf das Jenseits. Jesu Worte aber trösten, weil sie die Gegenwart nicht überspringen. Und weil er für die Zukunft mit seinem Leben bürgt. Keine leeren Versprechungen, sondern Gottes Werk im Menschenwerk kündigt er an: ein Wiedersehen, eine Freude, die niemand nehmen kann.
Auf diese Freude gehen wir zu.
Eine gesegnete Passions- und Osterzeit wünscht Ihnen
Ihre Pastorin Wiltrud Holzmüller