Schutz vor sexualisierter Gewalt

  01.02.2024
Die ForuM-Studie hat gezeigt: Die Evangelische Kirche in Deutschland war nicht "die bessere Kirche". Was tut Ihre Kirchengemeinde aktuell, um Menschen bestmöglich zu schützen?

Lange wurde das Thema tabuisiert. Betroffene sahen sich allein gelassen oder fühlten sich nicht ernst genommen. Inzwischen versucht die Evangelische Kirche in Deutschland mit ihrer Initiative Hinschauen – Helfen – Handeln sexualisierter Gewalt aktiv vorzubeugen. 2013 wurde in NRW eine Fachstelle für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung (FUVSS) eingerichtet. Diese berät Betroffene, Mitarbeitende und Leitende und ist bei der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe angesiedelt. Näheres unter www.diakonie-rwl.de

Im Rahmen von Hinschauen – Helfen – Handeln hat der Kirchenvorstand der Ev.-ref. Kirchengemeinde Heiligenkirchen eine Pilotguppe benannt. Ihr gehören aktuell an: Isabell Biegert, Pastorin Wiltrud Holzmüller, Alexander Miesner und Ramona Schulz. Alle Mitglieder besuchten zunächst selbst Schulungen. Anschließend stellten sie sich der Aufgabe, ein Schutzkonzept für die Gemeinde zu verfassen. Das Konzept wurde im Januar im Kirchenvorstand beschlossen. Inzwischen liegt es der Superintendentin und dem Landeskirchenamt zur Prüfung vor. Es soll das bereits vorhandene Schutzkonzept für die Kinder- und Jugendarbeit ablösen und auch weitere Arbeitsbereiche in den Blick nehmen.

Die Pilotgruppe dankt ausdrücklich den Gruppenleitungen der Gemeinde. Sie haben sich aktiv daran beteiligt, Risiken auszumachen und einen Verhaltenskodex aufzustellen. Geplant ist, dass alle Gruppen sich im Laufe des Jahres mit dem Schutzkonzept auseinandersetzen. Außerdem machen sie sich mit den wichtigsten Ansprechpersonen und Anlaufstellen vertraut. Beschäftigte und leitende Ehrenamtliche in der Gemeinde sind verpflichtet, an sensibilisierenden Schulungen teilzunehmen.

Gemeindeglieder, die Kritik und Fragen zur ForuM-Studie oder zum Schutzkonzept haben, sind herzlich eingeladen, diese beim Kirchkaffee nach dem Gottesdienst am Sonntag, 4. Februar 2024 zur Sprache zu bringen. Auch wer vorher nicht im Gottesdienst war, kann gerne um 11 Uhr dazukommen. Wiltrud Holzmüller

Ergänzend: Auszug aus einem Brief von Landessuperintendent Dietmar Arends vom 27. Januar 2024:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Geschwister,
am Donnerstag wurden die Ergebnisse der ForuM-Studie zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie vorgestellt. Sie werden es in den Medien verfolgt haben. Die Erkenntnisse der Studie sind zutiefst erschütternd. Sie zählt über 2000 Menschen, die in den letzten Jahrzehnten in der evangelischen Kirche sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren. Die tatsächliche Zahl der Betroffenen ist deutlich höher. Daran gibt es - unabhängig davon, wie die Zahlen einzuordnen sind - keinen Zweifel. Und das Entscheidende ist: Jeder einzelne Fall ist einer zu viel. Menschen haben schreckliches Leid in der Kirche erfahren, das sie ihr Leben lang mit sich tragen. Ihnen, den Betroffenen, muss unser ganzes Augenmerk gelten, sie stehen bei der Aufarbeitung dessen, was geschehen ist, im Mittelpunkt.
Auch in unserer Lippischen Landeskirche haben Menschen sexualisierte Gewalt erfahren. Der Ort, der Sicherheit und Geborgenheit hätte vermitteln sollen, wurde zu einem Ort, an dem sie sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren. Das ist eine zutiefst erschütternde Erkenntnis. Die Geschichten von Betroffenen aus unserer Kirche, die ich wahrgenommen habe, machen mich unendlich traurig. Zudem müssen wir eingestehen, dass auch Verantwortliche in unserer Kirche weggeschaut haben, dass Beschuldigte geschützt wurden und Betroffene nicht gesehen und gehört wurden, dass Hinweisen nicht entschlossen nachgegangen wurde. Wir sind als Kirche schuldig geworden. Das gilt es zu bekennen.
In einer ersten Reaktion auf die Studie haben wir deutlich gemacht, dass wir sie als einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in unserer Kirche verstehen. Es ist, so haben wir gesagt, "unsere oberste Aufgabe, betroffene Personen sexualisierter Gewalt heute zu unterstützen und die schmerzhaften Erfahrungen anzuerkennen, die sie erlitten haben. Es gilt, Fälle sexualisierter Gewalt - auch aus der Vergangenheit - konsequent und umfassend aufzuklären". Diesen Worten müssen wir Taten folgen lassen, auch wenn wir auf diesem Weg vor weiteren schmerzhaften Einsichten und Konsequenzen nicht verschont bleiben werden.
Gleichzeitig werden wir in der EKD gemeinsam mit den Betroffenen danach fragen, was uns die Studie im Blick darauf sagt, wie unsere Kirchen zu sicheren Orten werden, in denen Menschen in Zukunft vor sexualisierter Gewalt geschützt werden. Etliche wichtige Schritte sinbd wir dabei in unserer Kirche auf der Grundlage unseres Gesetzes zum Schutz vor sexualisierter Gewalt schon gegangen. (...) Diesen Weg müssen wir konsequent weiterverfolgen und auf der Grundlage der Erkenntnisse der ForuM-Studie weiterentwickeln.
In den letzten beiden Tagen wurde die Frage, welche Akten für die Studie herangezogen wurden und welche nicht, sehr intensiv in der Öffentlichkeit diskutiert. Dazu kann ich Ihnen sagen: Ursprünglich war eine auf der Auswertung der Personalakten basierendes Verfahren angedacht. Nachdem es zu Verzögerungen gekommen war, entwickelten die Forschenden ein anderes, auf den Disziplinarakten basierendes Verfahren. Das bedeutete für uns; dass für die Jahre, in denen Disziplinarakten geführt wurden (1983-2021) diese herangezogen wurden, für die Jahre davor (1946-1982) wurden sämtliche Personalakten zur Verfügung gestellt. Der Eindruck, der leider in den letzten Tagen gelegentlich vermittelt wurde, wir hätten Akten zurückgehalten oder nicht zur Verfügung stellen wollen, ist nicht zutreffend. Wir haben auf der genannten Basis acht Vorkommnisse sehr unterschiedlicher Artt an die Forschungsgemeinschaft gemeldet. Wir haben uns vorgenommen, auch die Personalakten von 1983 bis 2021 daraufhin untersuchen zu lassen, ob sich dort weitere Hinweise finden.
Die Ergebnisse der ForuM-Studie werden uns noch lange beschäftigen. Ich bitte Sie von Herzen, dass wir uns gemeinsam ihren Erkenntnissen stellen und den Weg der Aufarbeitung und der Prävention konsequent weitergehen. (...)
Dietmar Arends